Do., 05.10.2023 - 14:03

Um den grossen Tisch im Sitzungsraum in Zürich sitzen rund 10 Frauen und Männer. Dazwischen rennen einige Kinder umher und nehmen sich von den Süssigkeiten vom Tisch, darunter Schweizer Schoggistängeli und Sudanesische Baklava.

Die Sudanesinnen und Sudanesen sind aus verschiedenen Teilen der Schweiz zusammengekommen. Erst kürzlich haben sie sich offiziell als Verein gegründet. Die Gemeinschaft - die meisten der Mitglieder sind Frauen - besteht aber schon seit mehr als 20 Jahren in unserem Land. Zuerst hätten sie sich vor allem aus sozialen Gründen getroffen, erklärt el-Wathig el-Gozoli, der am Tisch sitzt und den Lautsprecher für die Schaltung mit Zephania Amuiri, Senior Liaison Advisor für das UNHCR-Regionalbüro für die Regionen Ost, Horn und Grosse Seen in Afrika.

„Aber als der Krieg ausbrach, war uns klar, dass wir mehr tun müssen.“ 

Es ist eine Art ein vergessener Krieg. Hierzulande bekommen wir nicht allzuviel mit von den Geschehnissen im Nordosten Afrikas. Für el-Wathig el Gozoli keine Überraschung: Der Sudan sei weit weg von der Schweiz, deshalb wüssten die Menschen hier nur sehr wenig über das Land. Auch die Medien seien nicht wirklich interessiert, so el-Wathig el-Gozoli weiter. Aber was sie von ihren Verwandten und Nachbarn aus dem Sudan hörten, sei erschreckend:

„Es sind nicht nur die offiziellen Kämpfe. Zivilpersonen werden absichtlich angegriffen, Frauen Opfer von sexueller Gewalt. Es ist unsere Aufgabe, die Menschen hier aufzuklären, wie schlimm die Situation wirklich ist.“ 
el-Wathig el-Gozoli, eines der Mitglieder der Organisation, hört Zephania Amuiri am Telefon zu. ©Switzerland for UNHCR
el-Wathig el-Gozoli, eines der Mitglieder der Organisation, hört Zephania Amuiri am Telefon zu. ©Switzerland for UNHCR

Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Sudanese Armed Forces (SAF) und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) war Mitte April ausgebrochen. Seither mussten bereits mehr als 5 Millionen Menschen flüchten. Viele von ihnen suchten Zuflucht in angrenzenden Ländern, wie etwa Chad, Süd-Sudan oder Äthiopien. Aber auch dort ist die Lage sehr schwierig, und die Flüchtlinge brauchen dringend Wasser, Nahrung, sichere Unterkünfte und medizinische Versorgung. Für UNHCR, die UN-Flüchtlingsorganisation, ist der Konflikt im Sudan eine Notfallsituation. Die Helfenden und ihre Partnerorganisationen geben ihr Bestes – aber die Mittel sind knapp. Anders als etwa beim Krieg in der Ukraine zeigt sich die globale Bevölkerung beim Sudan nicht besonders spendenfreudig.  

Die sudanesische Gemeinschaft in der Schweiz hat Geld gesammelt und an UNHCR gespendet. Politisch seien sie komplett unparteiisch, sind sich alle Mitglieder einig. Ihnen lägen einfach nur die Opfer am Herzen. Deshalb würden sie auch noch mehr Hilfe planen und die Zusammenarbeit mit UNHCR gerne ausbauen, sagt Nagla Fathi. Sie als dreifache Mutter mache sich vor allem um die Kinder sorgen im Sudan.

„Viele von ihnen können nicht mehr in die Schule gehen. Sie wissen nicht, wie ihre Zukunft aussehen wird. Diese jungen Menschen brauchen dringend Zugang zu Bildungseinrichtungen, damit sie sich ein Leben aufbauen können.“

Die Sudanesinnen und Sudanesen seien ein sehr offenes und gastfreundliches Volk, immer besorgt um andere, so Nagla Fathi weiter. Das zeigt sich auch darin, dass Sudan immer eines der Länder in Afrika war, das die meisten Flüchtlinge aufnahm. Aber jetzt bräuchte es selber dringend Hilfe.

Sämtliche Mitglieder der sudanesischen Gemeinschaft verstehen, dass die Schweizerinnen und Schweizer dem Sudan gegenüber nicht so solidarisch sind. „Das Land ist weit weg, die Situation chaotisch“, erklärt Gibreil Hamid. Er stammt aus Darfur im Westen Sudans und hat seit fünf Monaten nichts von seiner Familie gehört. Er kann sie nicht kontaktieren, nicht einmal Geld schicken: Internet, Telefonnetz und Banken funktionieren nicht mehr.

„Aber es ist unsere Aufgabe, die Bevölkerung hier auf die Situation aufmerksam zu machen. Wir machen noch nicht genug, wir müssen mehr auf die Strasse. Wir müssen die humanitären Organisationen besser aufklären, weil ihr Zugang im Sudan beschränkt ist.“ 
Die Organisation wurde vor kurzem gegründet, um das Bewusstsein für die Situation im Sudan zu schärfen. ©Switzerland for UNHCR
Die Organisation wurde vor kurzem gegründet, um das Bewusstsein für die Situation im Sudan zu schärfen. ©Switzerland for UNHCR

Das bestätigt auch Zephania Amuiri von UNHCR. Er wird online zugeschaltet, und die Sudanesinnen und Sudanesen im Sitzungszimmer in Zürich dürfen ihm Fragen stellen. Was für eine Art Hilfe kann UNHCR vor Ort leisten? Wo überall sind die Helfenden präsent? Es gebe Gegenden, die sie zur Zeit aus Sicherheitsgründen nicht betreten könnten, so Zephania Aimuri. Aber sie würden daran arbeiten. Und er zeigt sich sehr gerührt über das Engagement der sudanesischen Gemeinschaft in der Schweiz. 

Der Sudan wird seit Jahrzehnten von Krisen geschüttelt. Immer wieder kam es zu Militärputschen, zu Gewaltausbrüchen, dann zu einem Bürgerkrieg. Die sudanesische Gesellschaft setzt sich aus vielen unterschiedlichen Völkern und Stämmen zusammen.

„Wenn dieser Krieg endet, muss sich die Bevölkerung endlich als eine Einheit sehen“, ist Gibreil Hamid überzeugt. „Die Herkunft spielt keine Rolle, wir sind alle einfach Sudanesinnen und Sudanesen.“

In solch gewalttätigen Konflikten würden alle gleichermassen leiden, vor allem die Unschuldigen. Und er wisse: Die Schweizer Bevölkerung sei sehr grosszügig, wenn es um humanitäre Hilfe gehe. Aber es sei ihr noch nicht bewusst, wie unmenschlich es sei, was zur Zeit im Sudan vor sich gehe. „Die Menschen hier haben nicht auf uns gewartet“, stellt el-Wathig el-Gozoli klar. „Es ist meine Pflicht, auf die Menschen zuzugehen und ihnen meine Geschichte zu erzählen. So können wir den Opfern gemeinsam helfen“. Und Nagla Fathi ist überzeugt: „Schon ein Franken kann einen Unterschied machen.“ 

Sie können die Flüchtlinge aus dem Sudan unterstützen, indem sie Informationen über die Situation verbreiten und uns spenden. Zusammen können wir einen Unterschied machen und dafür sorgen, dass die Geschehnisse in diesem afrikanischen Staat hierzulande bekannter werden. 

Wenn Sie einen tieferen, emotionaleren Blick auf die Situation im Sudan werfen wollen, dann bleiben Sie dran: Wir werden die Videos unserer Interviews mit Nagla Fathi, el-Wathig el-Gozoli und Gibreil Hamid sehr bald auf dieser Seite veröffentlichen. 

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