Do., 09.11.2023 - 17:48

Die Zahl der gewaltsam vertriebenen Menschen weltweit wächst weiter an: Ende September 2023 waren es schon mehr als 114 Millionen. Das schätzt UNHCR, die UN-Flüchtlingsorganisation, in ihrem Mid Year Trends Report 2023. Ein neuer, trauriger Rekord. Ende Juni dieses Jahres, als der letzte Annual Report erschien, waren es noch 110 Millionen, die wegen Verfolgung, Konflikten, Gewalt und anderen Gründen ihre Heimat verlassen mussten – bereits 1.6 Millionen mehr als Ende 2022. Diese Menschen stammen vor allem aus Syrien, Afghanistan, der Ukraine, Venezuela, Südsudan, Myanmar, Sudan, der demokratischen Republik Kongo, Somalia und der Zentralafrikanischen Republik. Die meisten von ihnen überquerten niemals eine internationale Grenze, sondern mussten sich landesintern eine sichere Bleibe suchen. Türkiye und Iran gehören zu den Ländern, die die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben – keine einfache Situation, da sie selber auch mit politischen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen haben.  

Dass immer mehr Menschen unter Zwang umsiedeln müssten, sei auch eine Folge davon, dass es nicht gelinge, Frieden und Sicherheit auf der Welt zu wahren. Das sagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge Filippo Grandi in seiner Rede vor dem UN-Sicherheitsrat. „Die letzten Wochen haben auf erschütternde Weise gezeigt, dass die Missachtung der grundlegenden Regeln des Krieges - des humanitären Völkerrechts - immer mehr zur Norm und nicht zur Ausnahme wird, wobei unschuldige Zivilisten in noch nie dagewesener Zahl getötet werden.“ Grandi sprach dabei den Konflikt zwischen Israel und Gaza an. Dieser sei das jüngste - und vielleicht grösste - Teil eines höchst gefährlichen Kriegspuzzles, das sich rasch um uns herum schliesse. Jede neue Krise auf der Welt lasse eine vorangehende in gefährliche Vergessenheit geraten. „Lassen Sie sich von diesem Menschen, der sein Leben lang in der humanitären Hilfe tätig war, sagen, dass wir Ihre Stimme brauchen, um jede einzelne von ihnen anzugehen. Nicht Ihre Stimmen. Ihre Stimme. Ihre starke, vereinte Stimme“, so Grandi zum UN-Sicherheitsrat weiter. Die humanitären Helfenden würden niemals aufgeben. Aber sie müssten immer mehr leisten mit immer weniger Ressourcen. UNHCR brauche bis Jahresende dringend 600 Millionen Dollar, um die nötige Hilfe für all die Flüchtlinge leisten zu können. Und auch die Aussichten für das kommende Jahr seien nicht rosig, gab Grandi zu bedenken.  

Le Haut Commissaire des Nations Unies pour les réfugiés, Filippo Grandi, ici au Burkina Faso. © UNHCR/Sylvain Cherkaoui
Le Haut Commissaire des Nations Unies pour les réfugiés, Filippo Grandi, ici au Burkina Faso. © UNHCR/Sylvain Cherkaoui

Und gerade jetzt, wo der Winter kommt, wird die Lage noch prekärer: Vor allem in der Ukraine, wo die Temperaturen auch schon mal auf bis zu minus 20 Grad fallen können. In Jordanien, im Flüchtlingscamp Zaatari, wo 80´000 Menschen aus Syrien Zuflucht gefunden haben, kann es im Winter ebenfalls garstig werden. Und auch die Binnenvertriebenen in Syrien selber und in Afghanistan sind der Kälte oft schutzlos ausgesetzt. All diese Menschen brauchen dringend geeignete Unterkünfte, warme Kleider und Decken. Sie können uns helfen, diese Menschen durch den Winter zu bringen! Herzlichen Dank! 

Der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge zeigte sich in seiner Rede sehr besorgt darüber, wie lange die humanitären Helfenden noch durchhalten könnten. Es müsse jetzt dringend gehandelt werden: „Werden Sie weiterhin zulassen, dass dieses Puzzle des Krieges durch aggressive Handlungen, durch Ihre Uneinigkeit oder durch blosse Nachlässigkeit vervollständigt wird?“, so Filippo Grandi zum UN-Sicherheitsrat. „Oder werden Sie die mutigen und notwendigen Schritte machen, um uns vor dem Abgrund zu bewahren?“