Kunst ermöglicht es uns, sprachliche, kulturelle und politische Barrieren zu überwinden. Sie ist eine wahrhaft universelle Sprache, die unser Empfinden direkt anspricht und uns mit zutiefst menschlichen Gefühlen zusammenbringt. Diese Form des Ausdrucks, sei es musikalisch oder visuell, ermöglicht es uns, eine Botschaft zu vermitteln und bei den Menschen, die ihr begegnen, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Die positive soziale Wirkung, die Kunst zu entfalten vermag, ist also immens. Vor diesem Hintergrund hat die Internationale Schule von Genf beschlossen, die vierte Ausgabe ihrer Ausstellung "Social Impact is an Art" anlässlich des Internationalen Tages des Friedens und in Partnerschaft mit der Kids Guernica Foundation, der Anouk Foundation, der Cittadellarte Fondazione Pistoletto ONLUS und Switzerland for UNHCR zu lancieren. Der international renommierte Künstler Yuval Avital, dessen Werke sich häufig auf Exil und Flüchtlinge beziehen, war einer der beiden Ehrengäste dieser Ausgabe. Wir nutzten die Gelegenheit, um ihm einige Fragen zu seiner Arbeit und seinem Engagement für Flüchtlinge zu stellen.
Yuval Avital: Ich bin ein israelischer Jude. Als Jude bin ich sehr empfindlich was das Thema Verfolgung und das Thema der Gleichgültigkeit gegenüber dem Schmerz anderer angeht. In Bezug auf den Holocaust haben wir immer gesagt: "Die meisten Menschen bleiben stumm". Die Tatsache, dass all diese Grausamkeiten im Zweiten Weltkrieg geschahen, ohne dass jemand aufschrie oder handelte, ist einer der schrecklichsten Aspekte dieser Tragödie der Menschheit.
Als sich die Krise in Syrien 2015 zuspitzte und Millionen von Menschen in die Flucht trieb, hatte ich denselben Eindruck: Grausames geschah, und die Welt war wieder einmal wie gelähmt, passiv und schob die Hilflosigkeit und den Schmerz der anderen beiseite. Und von diesem Moment an habe ich versucht, das Flüchtlingsthema und die Flüchtlingskrise mit meinen Werkzeugen in meiner Kunstpraxis zu fördern.
Ein weiterer Grund liegt in einer der wichtigsten Begegnungen meines Lebens, einer dieser entscheidenden Begegnungen, die es nur wenige Male im Leben gibt. Es war die Begegnung mit Michelangelo Pistoletto, der mir die Kraft und den Mut gab, meine Kunst nicht nur unter ästhetischen, sondern auch unter ethischen Gesichtspunkten zu betrachten. Ich denke, dass die Rolle eines Künstlers in unserer heutigen Gesellschaft nicht nur selbstreferenziell sein kann. Kunst kann nicht nur eine Manifestation des eigenen Ichs sein, sondern muss auch die Gesellschaft und ein breiteres kulturelles Paradigma widerspiegeln und kann als solches denjenigen eine Stimme geben, die keine haben.
Die Flüchtlingsthematik ist in unserem täglichen Leben durch die Medien ständig präsent. Das Thema ist in der Tat auf allen Informationskanälen sichtbar. Wir sehen eine riesige, unverhältnismässige Krise, aber was uns fehlt, ist eine einfühlsame Kommunikation darüber;, eine Kommunikation, die diese gefährdeten, dehumanisierten Personen wieder humanisieren würde.
YA: Im Jahr 2016 hatte ich das Privileg, mit UNHCR zusammenzuarbeiten, um meine Oper "Fuga Perpetua" zu realisieren. Diese Arbeit wurde seither von der Agentur weiterhin gefördert.
Für mich ist UNHCR eine Organisation, die es der Menschheit teilweise ermöglicht, ihre Würde wiederzuerlangen. UNHCR schweigt nicht angesichts des Leids anderer und versucht auf jede erdenkliche Weise, Leben zu retten, Leben wiederherzustellen, Schutzräume zu schaffen und einen Zustand zu verbessern, der leider für einen Grossteil der Menschheit unsichtbar ist.
Für mich ist UNHCR ein Held, der mit viel Herz und Engagement unseren moralischen Status rettet. Dankbarkeit beschreibt meine Beziehung zum UNHCR am besten. Für mich als Künstler ist es eine Ehre und ein Privileg, einen Beitrag zu diesem wichtigen Thema leisten zu dürfen.
YA: Ich glaube, dass Kunst nicht nur den Verstand anspricht, sondern auch das Herz und die Seele. Im 21. Jahrhundert befinden wir uns in einer Phase der Informationsüberflutung. Wir erhalten ständig Daten, Informationen von allen Seiten, und zwar in einem solchen Ausmass, dass wir manchmal die Tür schliessen müssen, um nicht verrückt zu werden. Auch wenn all diese Unterlagen, Daten, Informationen und detaillierten Aussagen äusserst wichtig und relevant sind, haben die Menschen nicht mehr den geistigen Freiraum, innezuhalten und sich die Zeit zu nehmen, sie zu verstehen. Kunst schafft etwas anderes. Kunst schafft eine Erfahrung, bei der das Verständnis viel tiefer ist.
Meine Herausforderung bei der Schaffung dieser Kunstwerke besteht nicht nur darin, aufzuklären oder das Bewusstsein zu schärfen, sondern vor allem darin, eine sinnvolle Erfahrung zu schaffen. Diese bedeutungsvolle Erfahrung ist mit menschlichem Einfühlungsvermögen verbunden, das den Kern von allem darstellt, echte Motivation schafft und das Verständnis fördert.
Seit 2015, als ich mein Werk "Rivers" im Auftrag von Michelangelo Pistoletto zum ersten Mal aufführte, bestand die Herausforderung für mich darin, eine tiefe empathische Kommunikation der Wiedervermenschlichung zu schaffen, eine menschliche Begegnung, in der es kein "sie" und "ich" gibt, sondern nur ein "wir".