Mi., 13.09.2023 - 17:00

Es waren exotische Klänge, die letzte Woche auf dem Dach von Switzerland for UNHCR in Genf zu hören waren. Zwei junge Männer in traditioneller Kleidung sassen auf der Terrasse und spielten auf der Rubab – einer Laute – und den Trommeln namens Tabla. Die Melodien entführten in eine ferne Welt, und tatsächlich stammen die beiden jungen Musiker aus Afghanistan. Sie sind Teil des Afghan Youth Orchestra, das in Genf zu Besuch war und dort mehrere Konzerte spielte – neben dem Dachkonzert bei uns auch zusammen mit dem Genfer Kammerorchester in der Victoria Hall.  

Rund 40 junge Musikerinnen und Musiker zwischen 14 und 20 Jahren gehören zum Afghan Youth Orchestra. Sie hatten am Afghanistan National Institute of Music ANIM in Kabul traditionelle afghanische und klassische westliche Musik studiert und von Karrieren in der Kunst geträumt – bis vor zwei Jahren die Taliban unerwartet wieder die Macht ergriffen im Land. Damals wurde Ahmad Naser Sarmast, Gründer und Direktor von ANIM, schnell klar: Die Studierenden müssen so schnell wie möglich Afghanistan verlassen, zusammen mit der restlichen Belegung des Insituts.

„Denn wir hatten uns immer für den demokratischen Wandel unseres Landes eingesetzt, uns für Frauenrechte stark gemacht. Alles Werte, die den Taliban komplett gegen den Strich gehen. Und wir wussten auch: Mit der Ankunft der Taliban waren die Tage der Musik gezählt.“  
© Afghan National Institute of Music
© Afghan National Institute of Music

Portugal gewährte den Flüchtlingen Asyl. Die dortige Regierung hätte sie sehr unterstützt, sagt Ahmad Naser Sarmast. Dafür sei er unendlich dankbar. Aber so ein Neubeginn in einem fremden Land sei natürlich nicht einfach. Alle benötigten Dokumente auftreiben, die neue Sprache lernen, sich in eine fremde Kultur integrieren, das sei ganz schön nervenaufreibend.

„Aber Flüchtlinge müssen sich bewusst sein, dass nur sie selber sich ihr Leben wieder aufbauen können. Von ihrem Gastland dürfen sie Sicherheit und eine Chance erwarten – der Rest liegt ganz bei ihnen.“ 

Ahmad Naser Sarmast spricht aus Erfahrung. Er war bereits zweimal in seinem Leben auf der Flucht. Kurz nachdem er sein Studium in Russland abgeschlossen hatte, kamen die Taliban in seinem Heimatland das erste Mal an die Macht. Ihm und seiner Familie wurde schliesslich in Australien Asyl gewährt. Musik habe ihm in diesen schwierigen Zeiten immer Mut gemacht:

„Musik hat eine heilende Wirkung. Das kann gerade für traumatisierte Flüchtlinge sehr wichtig sein. Sie gibt auch ein Stück Normalität zurück, wenn sonst nichts mehr ist wie es war.“ 

Das Afghan Youth Orchestra tourt nun also von Portugal aus durch Europa. Früher hätten sie vor allem die Musik zelebriert, heute sei die Botschaft eine andere: Die Welt soll auf das Schicksal der Frauen in Afghanistan schauen, die unter den Taliban praktisch aus der dortigen Gesellschaft ausradiert wurden. Sie verloren sämtliche Rechte, dürfen nicht mehr zur Schule, nicht arbeiten, nicht mal allein auf die Strasse.

„Und wir wollen auch auf die künstlerischen Rechte aufmerksam machen, die den Afghaninnen und Afghanen entzogen wurden“, so Ahmad Naser Sarmast weiter „Sie haben nicht mehr das Recht, Musik zu hören oder zu machen. Afghanistan ist das einzige Land auf der Welt ohne Musik. Können Sie sich das vorstellen?“ 
© Afghan National Institute of Music
© Afghan National Institute of Music

Die beiden Musikstudenten auf dem Dach von Switzerland for UNHCR beenden ihr kleines Konzert und strahlen unter dem Beifall der Zuschauenden. Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen sollen ihre Träume weiterleben dürfen, das sei das primäre Ziel ihrer Flucht, erklärt Ahmad Naser Sarmast, der Gründer des Afghan National Institute of Music ANIM. Und wenn Afghanistan eines Tages befreit sei, könnten sie zurückkehren und ihrem Land die Musik zurückbringen.

Die meisten der jungen Leute mussten ohne ihre Familien aus der Heimat flüchten, was für viele traumatisierend war. Seit 2021 haben sie sie nicht mehr gesehen. Aber erneut zeigte Portugals Regierung Herz: die Eltern und Geschwister dürfen bald nachkommen. Wenn alles gut läuft, sind die Familien schon im Oktober wieder vereint.