Als pensionierte, alleinstehende Ärztin in der Schweiz, war Marie-Claude besorgt darüber, wie sie sich vor COVID-19 am besten schützen könnte. Dann klingelte das Telefon. Es war ihr Freund Shadi Shhadeh, ein syrischer Flüchtling, der fragte, wie er ihr helfen könne.
„Als das Coronavirus ausbrach, rief er mich sofort an: ,Brauchst du etwas?‘ Er ist schon fast wie ein Sohn für mich“, sagt Marie-Claude, die Ende sechzig ist und deren erwachsene Kinder Hunderte von Kilometern entfernt in Deutschland und Österreich leben.
Shadi mobilisierte rasch ein Netzwerk an Freiwilligen, um Menschen in dem Land zu helfen, in dem er Sicherheit gefunden hat. Sie kaufen in Genf und Lausanne für Ältere, Geschwächte und andere, die von der Pandemie stark betroffen sind, ein und machen Besorgungen für sie.
Die syrische Flüchtlingscommunity wurde aktiv und nutzte ihr Verantwortungsgefühl für Menschen in Not und ihre jahrelange Erfahrung Bedrohungen und Unsicherheit zu überleben.
„Als Flüchtlinge haben wir in einer Krisensituation gelebt und tun dies immer noch“, sagt Shadi, 34, der ursprünglich aus Daraa, südlich von Damaskus, stammt und 2013 in die Schweiz kam. „Dadurch ist es für uns wahrscheinlich einfacher zu verstehen, dass wir uns in einer Krise befinden und wie wir am besten helfen können.“
Die Schweiz, mit einer Bevölkerung von 8,5 Millionen Einwohnern, hat über 11.000 bestätigte COVID-19 Fälle und gehört damit zu den 10 am stärksten betroffenen Ländern weltweit.
Als die Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie in Kraft gesetzt wurden, erkannte Shadis Frau Regula, die Schweizerin ist und ältere Eltern hat, dass viele Menschen Hilfe benötigen würden. Sie wandte sich an Shadi, der seine syrischen Freunde mobilisierte, um in den Eingängen von Wohnblöcken und in den Supermärkten Plakate aufzuhängen.
„Wir sind eine Gruppe syrischer Flüchtlinge, die Betroffenen helfen möchte zuhause zu bleiben, indem wir ihre Einkäufe erledigen“, steht auf einem der bunten Plakate, das mit einer E-Mail-Adresse versehen ist – aiderefugies@gmail.com – für diejenigen die Hilfe brauchen. Shadi prüft die E-Mails und weist seinen Nachbarn Freiwillige zu, die mehrmals täglich auf Wunsch einkaufen gehen.
„Eine Frau rief an und sagte: ,Ich bin kein Flüchtling, kann ich diesen Service trotzdem nutzen?‘ Ich sagte: Natürlich, jetzt sind wir alle Flüchtlinge“, sagt Shadi, der für eine humanitäre Organisation in Genf arbeitet.
Um das Risiko einer Ansteckung oder Ausbreitung des Virus zu minimieren, besteht er darauf, dass die Freiwilligen die striktesten Gesundheitsrichtlinien befolgen.
„Das Ziel dieser Kampagne ist es, den Menschen zu helfen, in ihrer geschützten Umgebung zu bleiben. In diesem Fall ist diese geschützte Umgebung ihr Zuhause“, sagt er. „Deshalb steht Sicherheit an erster Stelle.“
Er fügt hinzu: „Diese Menschen schützen sich selbst, aber sie schützen auch unser Gesundheitssystem vor dem Zusammenbruch. Das müssen wir unterstützen.“
Der Zusammenbruch des Gesundheitssystems ist etwas, das Millionen von Syrern im Verlauf von neun Jahren Bürgerkrieg erlebt haben, insbesondere als Krankenhäuser zur Zielscheibe wurden.
„Wir wissen also, was ein zusammengebrochenes Gesundheitssystem bedeutet“, sagt Shadi. „Wir kennen Menschen, die an kleinen Verletzungen starben, weil sie keine Behandlung erhalten haben, und das wollen wir verhindern. Wenn wir jetzt zusammenhalten, werden wir dem Gesundheitssystem unter die Arme greifen.“
Die Freiwilligen der Gruppe werden angewiesen, sich gründlich die Hände zu waschen, Schutzhandschuhe zu tragen, Einkaufstaschen zu desinfizieren, einen Mindestabstand einzuhalten und die soziale Interaktion mit denjenigen, denen sie helfen, auf Telefonate zu beschränken.
Das Netzwerk umfasst 26 Freiwillige, 18 davon sind aus Syrien. Bislang schätzt die Gruppe, dass sie für ungefähr 100 bis 200 Personen in Genf und Lausanne den Einkauf gemacht hat, und ihr Freiwilligennetzwerk wächst von Tag zu Tag. Regula, eine Kommunikationsspezialistin, die die Idee für die Aktion hatte, hofft, dass die Initiative andere inspirieren wird.
„Ich hoffe, dass die Menschen, die etwas tun können, helfen, damit diejenigen, die eigentlich soziale Kontakte vermeiden sollten, zuhause bleiben können“, sagt sie.
„Jeder kann das. Man muss nur Flyer ausdrucken und sie in Gebäuden oder im Supermarkt aufhängen.“
Shadi möchte, dass sich alle, die diese Geschichte lesen, in ihren Gemeinden engagieren. „Ich unterstütze und rufe die Menschen dazu auf, diese Idee zu kopieren und umzusetzen“, sagt er.
„Wenn wir in jedem Gebäude eine Person haben, die helfen kann, wird man sich noch Jahrzehnte später daran erinnern“.