Mo., 15.08.2022 - 16:00

Eines der Ziele, die hinter der Gründung der Schweizer Stiftung, Switzerland for UNHCR, stehen, ist es, die Schweizer Bevölkerung für die Flüchtlingsfrage zu sensibilisieren. Was wäre dafür besser geeignet, als eine Artikelserie zu veröffentlichen, die die verschiedenen lokalen Initiativen und Akteure, die sich für Geflüchtete und Menschen mit Asylhintergrund einsetzen, hervorhebt? Die Engagierten sind Leute wie Sie und ich, die den Menschen, die zur Flucht gezwungen wurden und in der Schweiz angekommen sind, konkrete Hilfe leisten möchten.   

Wir sind für unseren 12. Artikel nach Bern gereist, um Maryam Sediqi, Khaleda Sajjadi Maeder und Homayra Danishyar-Sajjadi zu treffen. Sie sind alle drei Mitgründerinnen von AWAS, die Afghan Women Association in Switzerland.

AWAS

Können Sie uns AWAS vorstellen? 

Homayra: AWAS heisst auf Farsi «die Stimme», und ist auch ein Akronym für Afghan Women Association in Switzerland. Wir drei sind die Gründerinnen. 

Khaleda: Die initiale Idee ist entstanden, als die Taliban in Afghanistan zurück waren. Anfangs haben wir alle einzeln geholfen. Dann hatten wir die Idee, zusammen zu arbeiten, um etwas Gutes zu leisten für die Frauen in Afghanistan und in der Schweiz, um eine Anlaufstelle zu werden, wenn sie Hilfe brauchen.  

Sei es für Soziales, Finanzielles, Administratives- wir wollen zur Integration der afghanischen Frauen hier in der Schweiz beitragen. Was wir jetzt auch viel gemacht haben, ist finanzielle Hilfe direkt nach Afghanistan zu senden. 

Inwiefern hat dies mit Ihren persönlichen Erfahrungen zu tun? 

K: Ich und meine Schwester haben keine direkte Erfahrung mit dem Krieg - wir waren sehr klein als wir in die Schweiz geflüchtet sind. Wir haben aber viele Verwandte in Afghanistan, und ein Netzwerk von Aktivistinnen, von Anwälten. Deshalb bekommen wir nahe mit, was sich in Afghanistan abspielt. Es haben viele Frauen Angst um ihr Leben, weil sie arbeiten. 

H: Wir wollen auch Frauen aus Afghanistan hier helfen, weil wir diese Erfahrung persönlich auch durchmachen mussten. Als wir in die Schweiz geflüchtet sind, gab es sehr wenige Afghaninnen und Afghanen, die uns hier helfen konnten, zurecht zu kommen mit Administrativen Angelegenheiten oder der Ausbildung. Es kam uns also auf sehr natürlicherweise die Idee, auch hier zu helfen. 

(Von links nach rechts) Maryam, Homayra und Khaleda sind die drei Gründerinnen von AWAS. ©Switzerland for UNHCR
(Von links nach rechts) Maryam, Homayra und Khaleda sind die drei Gründerinnen von AWAS. ©Switzerland for UNHCR
Welche Dienstleistungen bieten Sie an? 

Maryam: Unsere Arbeit beschäftigt sich in erster Linie mit den Themen Integration, Arbeit und Ausbildung in der Schweiz. Wenn eine Frau aus Afghanistan als Flüchtling kommt, braucht sie oft Hilfe aufgrund der Sprachbarriere - sei es zum Arbeiten oder zum Studieren. Da wollen wir natürlich unterstützen. 

K: Man bekommt häufig wenig Information dazu, wie die Sachen alle in der Schweiz funktionieren. Man kennt das System nicht, wie es mit Steuern, Schulwesen, Gesundheitswesen, Krankenkasse und so weiter funktioniert, und da wollen wir in Zukunft noch mehr machen, direkt in Flüchtlingsheime gehen und ihnen diese Information geben. 
 
M: Wenn es möglich ist, helfen wir auch finanziell, wenn jemand sich ein Studium beispielsweise nicht leisten kann. Es gibt in der Schweiz viele Afghanische Vereine, aber keinen Afghanischen Frauen Vereine, und da wollen wir einen Unterschied machen. 

In Afghanistan ist die Armut gerade sehr stark. Dort helfen wir im Moment also vor allem finanziell. Wir haben zum Beispiel afghanische Speisen hier verkauft, und das eingenommene Geld dann dorthin geschickt. Wir haben natürlich noch Grösseres geplant, aber im Moment ist dies das Dringendste. 

Es ist nun ein Jahr her, dass die Taliban die Kontrolle in Afghanistan übernommen haben. Wie hat sich die Situation aus Ihrer Sicht verändert? 

H: Die Situation in Afghanistan hat sich klar verschlechtert. Am Anfang hatten wir noch ein bisschen Hoffnung, vielleicht ist die Übernahme anders als in der 90. Jahren, vielleicht können die Frauen weiterarbeiten, ihre Rechte gelten lassen, und in die Schule gehen. Dies hatten die Taliban auch versprochen. Ein Jahr später wissen wir jetzt, dass das nicht der Wahrheit entspricht. Die Armut ist auch gewachsen, und Attentate passieren weiterhin. Die Situation ist schlechter geworden. 

K: Viele sagen, dass wenigstens kein Krieg mehr herrscht und dass sich die Sicherheitslage verbessert hat. Das ist vielleicht wahr, aber dies sollte keine Grundlage sein, zum Leben, und auf der wir unsere Kinder und weitere Generationen erziehen sollen. Das die Taliban regieren, betrifft natürlich sehr stark die Frauen in Afghanistan. Es geht aber auch um mehr, um das Kulturerbe des Landes, da Musik, Kunst und weiteres verboten ist. Meinungs- und Medienfreiheit gibt es nicht. Also die Abwesenheit von Krieg bedeutet nicht, dass man mit der Lage zufrieden sein sollte.  

Ein Teil der Aktivitäten von AWAS besteht darin, Hilfe direkt nach Afghanistan zu schicken. ©Switzerland for UNHCR
Ein Teil der Aktivitäten von AWAS besteht darin, Hilfe direkt nach Afghanistan zu schicken. ©Switzerland for UNHCR
Gibt es eine besondere Erinnerung an Ihre Zeit bei AWAS, die Sie gerne teilen möchten? 

M: Für mich war die Gründung im Dezember etwas Spezielles. Die Idee kam schon früher, und es wurde viel Besprochen, wie der Verein aussehen sollte. Am 16. Dezember war es dann ein Erfolg es zu Stande kommen lassen. 

H: Die Bilder, die wir aus Afghanistan erhalten, wenn wir einigen Frauen Hilfe zukommen lassen, ist etwas Spezielles. Nicht alle wissen wer wir sind, aber sie freuen sich diese Hilfe zu bekommen. 

K: Ich sehe es ähnlich. Vor ein paar Tagen haben wir Bilder aus einer ganz kleinen Provinz erhalten, weit entfernt von Kabul, wo wir Geld hingeschickt haben. Zu sehen, dass unsere Hilfe diese Leute erreicht, bringt Mut weiterzumachen. Dafür tun wir dies. 

Welche Zukunftspläne haben Sie mit AWAS? 

Ganz grosse! 

K: Wir wollen nicht nur Veranstaltungen machen, um Geld nach Afghanistan zu schicken. Unsere Integrationsprogramme hier in der Schweiz können auch noch weiter ausgebreitet werden. Wir wollen hier auch die afghanische Kultur den Leuten zugänglicher machen, damit sie auch sehen, welch ein Erbe es gibt, das weitergegeben werden muss. Wir möchten auch Farsi, und Dari Unterrichte für Kinder zur Verfügung stellen, und insgesamt mehr Orte, wo es einen Kulturaustausch zwischen Schweizern und Afghanen geben kann. 

M: Wie gesagt, die Kultur ist in Afghanistan in Gefahr. Die Kultur stirbt aus, unsere Geschichte kann nicht weitererzählt werden und sie darf nicht vergessen werden. 

H: In Afghanistan wollen wir auch etwas aufbauen: nicht nur Geld hinschicken, sondern den Frauen vor Ort die Möglichkeit geben, sich selber finanzieren zu können. Wir arbeiten an einem Nähprojekt, damit ein autonomer Zyklus dort dann auch entstehen kann. 

Eine Empfängerin der AWAS-Hilfe in Afghanistan posiert mit ihren Kindern und dem Logo der Organisation. ©AWAS
Eine Empfängerin der AWAS-Hilfe in Afghanistan posiert mit ihren Kindern und dem Logo der Organisation. ©AWAS
Warum engagieren Sie sich für Flüchtlinge, und wie kann die Schweizer Bevölkerung insgesamt helfen? 

H: Wir engagieren uns für Flüchtlinge, weil wir selber mal Flüchtlinge waren. Wir wissen, wie es ist, in ein Land zu kommen wo man die Sprache, die Kultur oder die Religion nicht kennt. Diese Frauen, die aus Afghanistan flüchten, kennen nichts anderes als Krieg. Sie hatten nicht das Privileg wie unserer Mutter oder Grossmutter, die ein anderes Afghanistan gekannt haben, und deswegen ist es umso wichtiger, dass wir ihnen beistehen, und ihnen hier helfen. 

K: Vor einem Jahr haben wir ganz viele nette Anfragen erhalten, von Menschen, die wissen wollten, wie man den Leuten hier und dort helfen konnte. Viele wollen helfen, aber wissen nicht wie oder wo, und dazu haben wir spezifisch eine Internetseite eingerichtet, wo Leute, die sich engagieren wollen, angeben können, was sie tun können, und wie viel Zeit sie einzusetzen haben. Es geht nicht nur darum, Geld nach Afghanistan zu schicken, es gibt ganz viele Arten zu helfen. 

H: Was man machen kann, ist alle Flüchtlinge gleich zu behandeln. Das ist nicht immer der Fall, und wir haben letztens gesehen, wie Flüchtlinge aus einigen Ländern priorisiert werden. Man muss Afghaninnen und Afghanen die gleichen Chancen geben, die man zum Beispiel europäischen Kriegsopfer gibt. Es müssen alle den gleichen Zugang zur Bewegungsfreiheit, Bildung und Arbeit haben. 

K: Wir haben alle drei unser Privatleben, sind zum Teil Mutter, und machen dies alles rein in unserer Freizeit, und aus eigener Initiative. Wir bekommen keine Hilfe vom Staat, aber haben ein Team von Frauen das sich freiwillig engagiert für diesen Gemeinnützigen Zweck.