Die Krise in Syrien befindet sich jetzt mittlerweile im 14. Jahr und ist nach wie vor eine der grössten Flüchtlingskrise der Welt. Millionen von Menschen in Syrien und in den Nachbarländern sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Wir sprachen mit Stefanie Gross, Senior Protection Coordinator bei UNHCR, der UN-Flüchtlingsorganisation, um die Entwicklung der Situation und die laufenden Unterstützungsmassnahmen aufzuzeigen. Stefanie erklärte uns die Herausforderungen, mit denen die Menschen in Syrien und die syrischen Flüchtlinge in den Nachbarländern konfrontiert sind. Zudem erläuterte sie, wie die Schweizer Bevölkerung den von Gewalt, Konflikten und Krieg betroffenen Menschen helfen kann.

Wer ist Stefanie Gross, die erfahrene Expertin im Bereich der humanitären Hilfe?
Stefanie Gross arbeitet seit 2008 für UNHCR und hat ihre Karriere der Unterstützung von zur Flucht gezwungenen Menschen weltweit gewidmet. Seit dem Ausbruch der Syrienkrise 2011 ist sie in diesem Bereich tätig, auch direkt vor Ort in Syrien. Derzeit arbeitet sie im Regionalbüro von UNHCR in Jordanien und leitet die Koordination von Schutzmassnahmen im Nahen Osten und in Nordafrika.
UNHCR und Syrien
Das operative Engagement von UNHCR in Syrien begann in den frühen 1990er Jahren, zunächst um das Land bei der Aufnahme und der Betreuung von Flüchtlingen aus dem Irak und anderen Ländern innerhalb und ausserhalb der Region zu unterstützen. Mit dem Ausbruch der Krise in Syrien im Jahr 2011 verstärkte UNHCR seine Präsenz und seine Bemühungen – es gibt nun ein Landesbüro in Damaskus und sieben weitere Büros im ganzen Land.
Die Situation in Syrien
Die humanitäre Krise in Syrien bleibt eine der schwersten der Welt. Das Land wird seit über einem Jahrzehnt von Konflikten zerrissen, und die Situation wurde durch die verheerenden Erdbeben im Jahr 2023 sowie durch Krisen in benachbarten Ländern und Regionen weiter verschärft. Die Wirtschaft liegt in Trümmern, und ein Grossteil der zivilen Infrastruktur ist zerstört oder beschädigt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist weiterhin zur Flucht gezwungen, während rund 90 Prozent unterhalb der Armutsgrenze leben – erschreckende 17 Millionen Menschen sind dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Stefanie beschreibt die Lage vor Ort: „Es fehlt den Menschen wirklich an allem. Das beginnt bei Unterkünften, Strom, Nahrung, dem Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie zum Beispiel Schulen und Gesundheitsversorgung, bis hin zu Möglichkeiten, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, weil es einfach wirklich keine Arbeitsplätze mehr gibt.” Die Bedürfnisse nehmen in allen Bereichen zu, während die Mittel seit vielen Jahren zurückgehen.

Die Arbeit und Auswirkungen von UNHCR in Syrien
Die Arbeit von UNHCR in Syrien ist vielfältig und konzentriert sich auf die Bereiche Unterkunft, materielle Hilfe und Schutz. UNHCR arbeitet eng mit seinen Partnern zusammen und leistet Unterstützung sowohl direkt als auch durch über 100 Gemeindezentren in ganz Syrien. Die Aktivitäten des UNHCR kommen sowohl rückkehrenden Flüchtlingen, Binnenvertriebenen und Aufnahmegemeinschaften als auch Flüchtlingen und Asylbewerbern anderer Nationalitäten zugute. Dabei liegt der Schwerpunkt auf besonders verletzlichen Gruppen – etwa gefährdeten Frauen, Kindern, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen.
UNHCR bietet rechtlichen Schutz an. Stefanie erklärt:
„Wir bieten Rechtsberatung für Geflüchtete und für Rückkehrende an, einschliesslich Informationen über verschiedene Rechtsangelegenheiten, Einzelfallverweisung an Anwälte oder auch Vertretung vor Behörden. Es geht von der Registrierung von Geburten und Eheschliessungen bis hin zu Personen, die Fragen haben, wie sie ihre Häuser oder ihren Grundbesitz nach ihrer Rückkehr wieder beanspruchen können.”
UNHCR stellt auch materielle Hilfe wie Plastikfolien, Matratzen und Decken, Küchenutensilien und Winterjacken bereit. Darüber hinaus unterstützt UNHCR die Errichtung von Unterkünften sowie den Wiederaufbau von Wohnhäusern und öffentlicher Infrastruktur und fördert Projekte zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Stefanie erinnert sich an die Veränderung von Dörfern, in denen UNHCR Schulen, Bäckereien, Standesämter oder Gesundheitseinrichtungen wiederhergestellt hat: „Wenn man nach ein paar Monaten in ein solches Dorf zurückkehrt, sieht man, dass ein Ort, der vorher vielleicht wie eine Geisterstadt aussah, plötzlich wieder lebendig ist. Die Menschen nehmen ihr Leben wieder auf, und wenn Dienstleistungen wieder verfügbar sind, entsteht ein Pull-Effekt, der andere anzieht, zurückzukehren und sich dort niederzulassen.“ Stefanie erinnert sich auch an „eine alte Frau in einem Dorf in der Nähe von Aleppo. Ihre Kinder waren geflohen, und sie lebte allein in einem beschädigten Haus mit Plastikfolien, die über die Türen und Fenster geklebt waren. Wir haben ihr Türen und Fenster bereitgestellt, so dass sie vor der Kälte geschützt war und sich wieder sicher fühlte.“ Stefanie erinnert sich auch an Frauen, die von Schulungsprogrammen profitierten, welche es ihnen ermöglichten, kleine Unternehmen zu gründen.
„Eine Frau eröffnete einen kleinen Laden für Kinderkleidung, eine andere verkaufte selbstgemachte Lebensmittel. Diese kleinen Initiativen machen einen grossen Unterschied in ihrem Leben und helfen ihnen, unabhängig zu werden und weniger auf humanitäre Hilfe angewiesen zu sein.”
Türkisch-syrische Grenze, Januar 2025
Die Unterstützung von Spenderinnen und Spendern bleibt für UNHCR entscheidend, um weiterhin Menschen in Syrien und in benachbarten Aufnahmeländern zu unterstützen. Auch wenn sich die Situation mit dem Sturz der früheren syrischen Regierung verändert hat, ist die Krise noch nicht vorbei. Jetzt ist der Moment gekommen, die finanzielle Unterstützung für Syrien aufrechtzuerhalten und zu erhöhen, um die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und den Flüchtlingen oder Binnenvertriebenen, die eine Rückkehr nach Syrien oder an ihren Herkunftsort in Betracht ziehen, Hoffnung und Perspektiven zu geben, damit sie ihr Leben nachhaltig wiederaufbauen können.
Die Schweizer Gemeinschaft spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Stefanie drückt ihre Dankbarkeit aus:
„Im Namen von UNHCR möchte ich der Schweizer Bevölkerung für ihre unglaubliche Unterstützung danken. Die Schweiz war sehr grosszügig, und die Solidarität der Schweizerinnen und Schweizer mit den Flüchtlingen ist bemerkenswert.“
Sie betont, wie wichtig es ist, diese Unterstützung aufrechtzuerhalten. „Für 65 Schweizer Franken können fünf Matratzen für eine fünfköpfige Familie gekauft werden. Für 150 Franken kann eine Familie sechs Wochen lang überleben und ihre Grundbedürfnisse decken. Diese kleinen Beträge haben eine unmittelbare und bedeutende Auswirkung auf das Leben von Einzelpersonen und Familien.“
Angesichts der anhaltenden Krise in Syrien ist es von entscheidender Bedeutung, dass sich die internationale Gemeinschaft, darunter auch die Schweizer Bevölkerung, weiterhin engagiert und Unterstützung leistet. Stefanie betont, dass jeder auf verschiedene Weise einen Beitrag leisten kann. „Jeder kann etwas tun. Das fängt bei geringen Privatspenden an. Natürlich gibt es auch andere Wege, sich einzubringen, wie zum Beispiel Flüchtlinge zu Behördengängen zu begleiten, Kindern Nachhilfe zu geben oder die Landessprache zu unterrichten. Sie können das Gespräch über die Situation in Syrien mit Freunden oder der Familie weiterführen und sicherstellen, dass die Millionen von Menschen in der Region, die humanitäre Hilfe benötigen, nicht vergessen werden.“
Die syrische Krise bleibt eine der grössten und komplexesten humanitären Notlagen der Welt. Durch die engagierten Bemühungen von UNHCR und die Unterstützung von Spenderinnen und Spendern, einschliesslich der Schweizer Bevölkerung, gibt es Hoffnung für die Millionen von Syrerinnen und Syrern, die vom Konflikt betroffen sind. Stefanies Erfahrungen mit den Menschen in Syrien zeigen, wie widerstandsfähig sie sind und wie wichtig kontinuierliche Solidarität und Unterstützung sind. Die Arbeit von UNHCR verändert Leben, sei es durch die Möglichkeit, ein kleines Unternehmen zu eröffnen, oder durch das Reparieren eines Daches, um im Winter warm zu bleiben.
Gemeinsam können wir einen Unterschied im Leben derjenigen machen, die es am dringendsten benötigen.