Eines der Ziele der Gründung der Schweizer Stiftung für das UNHCR, Switzerland for UNHCR, ist es, in der Schweiz das Bewusstsein für die Notlage entwurzelter Menschen zu schärfen. Die Stiftung feierte vor einigen Monaten ihr einjähriges Jubiläum, und obwohl es wenig zu feiern gab, ist eine Möglichkeit, diesen Anlass zu begehen, der Start einer Artikelserie, in der lokale Akteure vorgestellt werden, die sich für Flüchtlinge einsetzen: Die Engagierten. Für unseren achten Artikel haben wir uns mit Marianne Roche und Guillaume Boyer getroffen, die beide als Freiwillige für die Entwicklung des Programms von Alter Start Food in Genf zuständig sind. Alter Start Food ist ein Sozialunternehmen, das Flüchtlinge und Personen mit Asylhintergrund in der Schweiz durch die Entwicklung eines kulinarischen Projekts ausbildet, mit dem Ziel, dass sie ihren eigenen Catering- oder Restaurantservice starten können.
Alter Start Food
Marianne Roche : Alter Start ist ein Programm das 2017 in der Schweiz von der IFPD-Stiftung (eine Stiftung, die seit über 20 Jahren in Genf die am stärksten benachteiligten Menschen unterstützt) lanciert wurde. Alter Start ist ein sozialer Inkubator, der Menschen mit Migrationshintergrund beim Aufbau ihres Kleinunternehmens in den Kantonen Waadt und Genf unterstützt. Alter Start Food unterstützt gezielt diejenigen, die das Ziel haben, sich als Caterer oder Gastwirte zu etablieren. Dieses spezifische Programm stellt den Teilnehmern des Programms eine professionelle Küche zur Verfügung, und wird von einem Koch Chef der EHL begleitet, um sie professionell weiterauszubilden.
Guillaume Boyer : Die IFPD-Stiftung unterstützt unternehmerische Projekte in Indien, Nepal und Brasilien. Die Direktorin erkannte auch, dass es für viele Unternehmer mit Migrationshintergrund schwierig war, ihr Projekt hier in der Schweiz zu starten, und dass eine Unterstützung notwendig war. Alter Start wurde zuerst in Lausanne und dann in Genf lanciert. Das Sozialunternehmen Alter Start Food verkauft heute 250-300 Mahlzeiten pro Woche, was ein Erfolg ist. Heute wird das Projekt in Genf erweitert.
GB : Zwei unserer Partner, das Hospice Général und die EVAM, helfen uns mit der Identifizierung von Leuten, die bestimmte Kompetenzen in ihr Herkunftsland entwickelt haben und diese in der Schweiz in ein Produkt oder eine Dienstleistung umwandeln möchten. Beide Partner unterstützen sie auch beim Erlernen der Sprache und bei der Definition ihres Projekts. Wenn eine Person dem gesuchten Profil entspricht, wird sie mit Alter Start Food in Kontakt gebracht, um Coaching und eine Ausbildung in Anspruch zu nehmen.
Aber nicht jede Person mit einem Projekt kommt direkt zu Alter Start oder Alter Start Food. Unsere Partner wie das Hospice Général stehen in direktem Kontakt mit den Projektträgern und leiten sie dann an die Organisation weiter, die am besten geeignet ist, das jeweilige Projekt zu realisieren. Dies hängt oft vom Sprachniveau, von den Fähigkeiten oder auch von geografischen Faktoren ab. Es gibt also eine Vielzahl von Organisationen, die letztlich alle das gleiche Ziel verfolgen: Menschen mit Asylhintergrund bei der Integration und der Entwicklung ihrer Projekte zu helfen.
GB : Unsere Projektträger waren in ihren Ländern Dolmetscher, Schuhmacher, Architekten, Kunstmaler oder Fotografen. Die meisten von ihnen waren nicht im gastronomischen oder kulinarischen Bereich tätig. Als sie in die Schweiz kamen, stellten sie fest, dass ihre Diplome und Fähigkeiten nur selten anerkannt wurden. Die meisten von ihnen konnten zwar kochen, aber es war nicht ihre eigentliche Einkommensquelle. Diese Kompetenz wurde dann vertieft, um nicht nur die Qualität ihrer Rezepte zu stärken und zu konsolidieren, sondern auch ihre Fähigkeiten als Köche zu verbessern und ihre Menüs und Angebote an den Schweizer Markt anzupassen.
MR : Natürlich schafft das Kochen auch Verbindungen. Es ist also nicht nur eine Möglichkeit, finanziell unabhängiger zu werden, sondern auch eine Tür zur Integration.
GB : Auf persönlicher Ebene, da ich selbst unternehmerisch tätig war, insbesondere im Senegal in einer Region, wo viele Leute sich zur Migration drehen, hat mich diese Kreuzung von Erfahrungen auf natürliche Weise zu diesem Projekt geführt. Ein anderer Grund, ist auch die Motivation, die unsere Teilnehmer antreibt. Die meisten Flüchtlinge und Asylsuchenden haben nur einen Wunsch: aus der Abhängigkeit von der Sozialhilfe herauszukommen. Diejenigen, mit denen wir arbeiten, haben also die Möglichkeit, bezahlt zu werden, und präsentieren damit die Chance auf eine Berufstätigkeit, die nach und nach die Sozialhilfe ersetzt. Darüber hinaus handelt es sich um ein Gefühl von Stolz und Freiheit, wenn man aus dieser Struktur herauskommt. Es ist ein positiver Kreislauf sowohl für unsere Projektträger als auch für das Hospice Général, dass sie selbstständiger werden.
MR : Das soziale Unternehmertum ist ein äusserst dynamisches und operatives Umfeld, das aber auch einen Teil Traum enthält. Natürlich wünscht man sich eine "Success story" für die Menschen, die man betreut, dass ihre Unternehmen aufblühen. Aber letztendlich ist schon allein der Prozess eine wunderbare Erfahrung. Die Projektträger eröffnen uns eine Vielzahl von Horizonten und menschlichen Erfahrungen.
GB : Es gibt schöne und schwierige Zeiten. Wenn man Menschen über mehrere Monate hinweg bei ihren Projekten begleitet, bekommt man einen Eindruck davon, was sie wirklich erleben. Es gibt viel Hoffnung und Begeisterung, aber auch Momente der Verzweiflung, zum Beispiel wenn man sich der Realitäten des Schweizer Marktes bewusst wird, zum Beispiel wie teuer die Bewilligung für einen Food Truck ist und was es bedeutet, ein solches Projekt zu verwalten.
Manchmal geht man zu einem Termin, um über einen Businessplan zu sprechen, und am Ende verbringt man eine Stunde damit, über das zu sprechen, was sie im Alltag beschäftigt, über ihre Kinder, ihre Eltern, ihre Sorgen oder was auch immer. Das sind wirklich sehr menschliche Momente, die über das Projekt allein hinausgehen, es gibt enorm viel Demut im Teilen dieser Erfahrungen. Das ist ein echter Segen, und man lernt jeden Tag dazu.
Die Gegenseitigkeit steht bei Alter Start Food wirklich im Mittelpunkt. Mit einigen unserer Köche gehen die Beziehungen über Coaching und einfaches Mentoring hinaus. Wenn man mit jemandem Zeit beim Kartoffelschälen oder bei der Zubereitung von Mahlzeiten verbringt, wird man sich natürlich näherkommen.
MR : Da ich selbst eher im operativen Bereich tätig bin, gibt es einen weiteren Aspekt, der mich immer wieder beeindruckt und den ich für wichtig halte, nämlich den der Freiwilligen. Die Bezahlung der Freiwilligen ist die Zeit die sie in der Küche mit den Projektträgern verbringen. Es ist unglaublich, die Atmosphäre in der Küche zu sehen. Wir haben das Glück, einen in Rente gegangenen Koch zu haben, der uns in der Küche hilft. Einige der Freiwilligen kennen sich nur wenig mit dem Kochen aus und lernen viel. Andere, die bereits daran gewohnt sind, kommen wegen des sozialen Aspekts: Es gibt wirklich für jeden etwas.
MR : Im Moment ist es unser Ziel, das unser Unternehmen nachhaltiger und stabiler im Laufe der Zeit wird. Wir möchten unser Projekt ausbauen, um mehr Kunden zu erreichen, uns besser bekannt zu machen und vor allem, um mehr Projektträgerinnen und Projektträger aufnehmen und unterstützen zu können! Diejenigen, die wir hier in Genf begleiten, befinden sich nun in der letzten Phase der Entwicklung ihres Projekts. Unser kurzfristiges Ziel ist es daher auch, als Catering-Service gelistet zu werden, um uns mehr Sichtbarkeit zu verschaffen und damit mehr Menschen von unseren Kochkünsten profitieren können !
GB : In der Tat gibt es nur wenige Cateringdienste, die Lebensmittel aus dem Kaukasus, Tibet, Kolumbien, Algerien oder der Mongolei anbieten. Das sind spezielle Produkte, die man wirklich nicht jeden Tag bekommt und an denen es meiner Meinung nach ein grosses Interesse geben kann.
MR : Man sollte sich für etwas engagieren, das man liebt. Das ist wirklich etwas, das einen grossen Unterschied macht. Es reicht, ein paar Stunden pro Woche zu investieren: Es ist sehr einfach. Freiwillige werden in Projekten wie dem unseren immer mit offenen Armen empfangen, und es ist wirklich eine Gelegenheit, Menschen zu treffen, auf sie zuzugehen und sich überraschen zu lassen.
GB : Man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass es kein Minimum an Zeit gibt, die man investieren muss, man braucht keine Angst zu haben. Schon ein halber Tag im Monat kann eine grosse Wirkung haben, nicht nur auf ein Projekt, sondern auch auf die Person, die sich uns als Freiwilliger anschliesst. Wie von Marianne erwähnt, handelt es sich wirklich um eine Aktivität, die Verbindungen schafft. Es hat etwas von einem Abenteuer, von der Begegnung mit Menschen, Geschichten und Lebenswegen, die uns aus dem Alltag herausholen und uns auf Reisen schicken, ohne weit gehen zu müssen.