Do., 28.04.2022 - 15:30

Eines der Ziele, die hinter der Gründung der Schweizer Stiftung für UNHCR, Switzerland for UNHCR, stehen, ist es, die Schweizer Bevölkerung für die Flüchtlingsfrage zu sensibilisieren. Was wäre dafür besser geeignet, als eine Artikelserie zu veröffentlichen, die die verschiedenen lokalen Initiativen und Akteure, die sich für Geflüchtete und Menschen mit Asylhintergrund einsetzen, hervorheben soll? Die Engagierten sind Leute wie Sie und ich, die den Menschen, die zur Flucht gezwungen wurden und in der Schweiz angekommen sind, konkrete Hilfe leisten möchten. Für unseren zehnten Artikel in dieser Reihe haben wir uns mit Annina Maria Largo, der Präsidentin und Geschäftsleiterin von SPORTEGRATION in Zürich, getroffen.  

Die Engagierten : SPORTEGRATION 
Stellen Sie uns zu Beginn SPORTEGRATION vor. 

SPORTEGRATION ist ein Non-Profit-Verein, der 2016 in Zürich gegründet wurde. Bei SPORTEGRATION kommen geflüchtete Menschen mit einheimischen zusammen. Wir nutzen Sport als Basis und Mittel für eine nachhaltige Integration dieser jungen Menschen. Dabei setzten wir uns vor allem für Chancengleichheit ein. Bei unseren Sporttrainings können alle mitmachen, egal welche Sprache sie sprechen, woher sie kommen oder welche finanzielle Mittel sie haben. Wir schaffen eine Plattform des Kennenlernens, wo die Leute sich treffen und voneinander lernen können.

ⒸSPORTEGRATION
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Wie gehen Sie an Ihre Projekte heran ?

Der Fokus von SPORTEGRATION liegt auf dem Sport. Wir haben jede Woche viele Trainings in allen möglichen Sportarten, in denen Menschen unterschiedlichster Kulturen zusammenkommen. Als «Nebengleis» führen wir ein Patenschafts-Programm. Da werden Leute mit Einheimischen in Kontakt gebracht, ein Mentoring im 1:1-Setting. Das Dritte, ebenfalls ein «Nebengleis», sind Basis-Schulkurse in den Bereichen Mathematik, Informatik und Englisch. 
 
Als Sportarten haben wir unter anderem Fussball, Volleyball, Basketball, verschiedene Yogatrainings, Tanzen, Boxen, Taekwondo, Capoeira, Schwimmen, Running. Es gibt zwei verschiedene Arten, neue Projekte anzugehen bzw. neue Trainings aufzugleisen. Meistens machen wir es sehr zielgerichtet: Wir planen und recherchieren, wo es Bedarf gibt und wie dieser Bedarf aussieht. Es geht natürlich auch darum zu schauen, was es schon gibt, und dort diese Synergien zu nutzen. Unser Ziel ist es, da zu sein, wo es noch kein oder zu wenig Angebot gibt. Bei der anderen Herangehensweise melden sich Leute bei uns, die sich als Freiwillige engagieren wollen; dann schauen wir, wie und wo wir die Betreffenden am besten einsetzen können. Auch auf diese Art entstehen immer wieder neue Kurse in unserem Angebot. 

ⒸSPORTEGRATION
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Wieso Sport, wieso diese Form des Engagements ?  

Sport ist nicht das Einzige, das man zur Integration nutzen kann. Unserer Meinung nach ist es aber sicher eines der besten und einfachsten Mittel: Sport ist niederschwellig. Jede*r kann mitmachen. So kommt es etwa nicht drauf an, woher du kommst, wie deine finanzielle Situation aussieht, welchen Status du hast oder wie du aussiehst. Sport ist unserer Ansicht nach deshalb ein ideales Mittel, weil ein Grossteil der Geflüchteten jung ist. Junge Menschen wollen sich bewegen und Spass zusammen haben. Natürlich kann man Menschen auch durch gemeinsames Kochen, Musizieren oder Stricken zusammenbringen, für die Mehrheit junger Geflüchteter ist der Sport aber die attraktivste Möglichkeit. 
 
Es ist allgemein bekannt, dass man beim Sport Glücksgefühle ausschüttet. Natürlich kann man auch mal frustriert sein, letztlich ist Sport aber immer verbindend. Das gemeinsame Durchhalten, Schwitzen und Lachen schafft viele positive Erlebnisse. 

 

Warum engagieren Sie sich ? 

Was mich betrifft, spielen unsere Erlebnisse und unsere Erfolgsgeschichten auf der Integrationsebene eine grosse Rolle. Oft können neue Teilnehmende noch nicht gut Deutsch sprechen. Oft geht es ihnen verständlicherweise auch psychisch nicht gut. Wenn wir dann sehen, was unser SPORTEGRATION-Angebot verändern kann, realisieren wir, dass einfache Mittel genügen, um Grosses zu erreichen. Ich sage immer, unsere Teilnehmenden müssen selbst ihre Energie reinstecken. Es sind die Geflüchteten, nicht wir, die Sachen erreichen, die sich anstrengen; wir stellen ihnen nur eine geeignete Plattform zur Verfügung. Unsere Teilnehmenden verdienen es - wie alle junge Menschen -, dass man ihnen die Möglichkeit gibt, sich zu entfalten. Wenn ich höre, dass wieder jemand eine Lehrstelle gefunden hat, ist das ist sehr motivierend. 
 
Auf der anderen Seite gibt es auch einen «negativen» Motivator. Ärger motiviert, und ich ärgere mich immer wieder darüber, wie teilweise mit Geflüchteten und Asylsuchenden umgegangen wird. Natürlich kann SPORTEGRATION das System nicht ändern, aber wir können im Kleinen für viele Menschen einen Unterschied machen.

ⒸSPORTEGRATION
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Eine besondere Erinnerung von Ihrer Zeit mit SPORTEGRATION ? Ein Moment, der Sie geprägt hat ?

Es ist schwierig, nur einen Moment zu erwähnen. Auch hier gibt es Momente, die mich im Positiven wie im Negativen geprägt haben. Ein berührender Moment war etwa kürzlich, als mich ein ehemaliger Teilnehmer angerufen und mir von seiner Lehre erzählt hat, die er letzten Sommer begonnen hat. Ich lernte ihn als Minderjährigen kennen; inzwischen ist er erwachsen. Er entschuldigte sich, dass er nicht mehr oft habe ins Training kommen können und meinte, dass er bald wieder vorbeischauen werde. Es ist klar, dass er aufgrund seiner Lehre nicht mehr jeden Tag zum Training kommen kann, doch genau das ist ein positives Zeichen und zeigt, dass er seinen Platz gefunden hat und integriert ist. Er ist ein Beispiel für viele unserer Teilnehmenden, die mit uns verbunden bleiben, auch wenn sie uns, bzw. SPORTEGRATION, nicht mehr «brauchen». SPORTEGRATION ist mehr als Sport, es ist ein familiärer Ort. In solchen Momenten merkt man, wie sinnvoll es ist, was wir machen. 

 

Es ist aber auch prägend mitzuerleben, was diese jungen Menschen alles durchmachen müssen. Dabei meine ich nicht nur die Erlebnisse in ihrem Heimatland und die oft belastende Fluchtgeschichte, die Angst und das Ankommen in einem neuen Land. Ich meine damit auch die zahlreichen Hürden, mit denen sie hier in der Schweiz konfrontiert werden. Es ist erstaunlich zu sehen, wie unsere Teilnehmenden trotz aller Schwierigkeiten nicht den Mut verlieren, wie sie weitermachen, sich anstrengen und entschlossen sind, sich durchzubeissen und eine Arbeit zu finden. Sie zerbrechen nicht, geben nicht auf und bringen immer wieder die nötige Energie auf. Das ist schon was Spezielles. 

 

Gibt es Pläne für die Zukunft bei SPORTERGRATION ?  

Wir haben im November 2021 pilotmässig in Bern gestartet. Das erste Training dort wollten wir eigentlich früher lancieren; damals hat aber gerade die erste Coronawelle alles auf Eis gelegt. Jedenfalls liegt im aktuellen Jahr unser Fokus sicher auf dem Aufbau unseres Standorts in Bern. Aber auch innerhalb des Kantons Zürich wollen wir unser Trainingsangebot ausbauen. Es ist uns ein Anliegen, die eine oder andere Gemeinde zu erschliessen, denn: Je weiter entfernt ein Ort von Zürich oder Winterthur liegt, desto weniger Integrationsmöglichkeiten gibt es in der Regel. Es geht immer, so viele junge Leute wie möglich zu erreichen. 

ⒸSPORTEGRATION
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Welchen Rat haben Sie für diejenigen, die sich engagieren möchten, aber nicht wissen, wo sie anfangen sollen? 

Ich wusste anfänglich auch nicht, wo und wie ich mich engagieren sollte. Ende 2015 / anfangs 2016 hatten viele Menschen hier in der Schweiz den Drang, etwas beitragen zu können. Ich habe mich damals im Internet schlau gemacht und bin auf alles Mögliche gestossen, so zum Beispiel auf eine Strickgruppe. Stricken konnte ich nicht auch andere Möglichkeiten waren nicht passend für mich, also habe ich weiter überlegt und irgendwann an das Naheliegendste gedacht: Sport unterrichten, denn das machte ich bereits seit Jahren. Ich glaube, man sollte genau das machen, was man kann und was einem selbst Freude bereitet. Jeder und Jede kann etwas beitragen. Wie man so schön sagt: «Probieren geht über Studieren». Wenn Leute sich bei uns melden, sage ich auch immer, dass es am einfachsten ist, wenn sie mal ein Training besuchen um zu sehen, ob SPORTEGRATION etwas für sie ist.

Wir vom Kernteam sind letztlich darum besorgt, geeignete Räumlichkeiten zu finden und das nötige Material bereitzustellen. Weiter kümmern wir uns um alles Administrative, da viele interessierte Freiwillige Trainings oder Schulkurse geben wollen, aber keine Kapazität haben, sich um die ganze Organisation zu kümmern. Wir versuchen also, das Ganze für interessierte Freiwillige so einfach zu machen. Mein Rat ist also: Einfach ausprobieren! Und wir sind natürlich auch immer auf der Suche nach neuen Freiwilligen!