Eines der Ziele, die hinter der Gründung der Schweizer Stiftung für das UNHCR, Switzerland for UNHCR, stehen, ist es, die Schweizer Bevölkerung für die Flüchtlingsfrage zu sensibilisieren. Was wäre dafür besser geeignet, als eine Artikelserie zu veröffentlichen, die die verschiedenen lokalen Initiativen und Akteure, die sich für Flüchtlinge und Menschen mit Asylhintergrund einsetzen, hervorheben soll? Die Engagierten sind diese Leute wie Sie und ich, die den Menschen, die zur Flucht gezwungen wurden und in der Schweiz angekommen sind, konkrete Hilfe leisten möchten. Für unseren neunten Artikel in dieser Reihe haben wir uns mit Martina Novotny, der Programmkoordinatorin von FLAG21 in Genf, getroffen.
Die Engagierten : FLAG21
FLAG21 ist ein gemeinnütziger Verein, der die Integration von Leuten mit Asyl- und Migrationshintergrund in Genf durch sportliche Aktivitäten erleichtern will. Wir organisieren jeden Samstagmorgen Lauftrainings im Parc des Eaux-Vives, sowohl im Sommer als auch im Winter. Die Betreuung erfolgt durch sport- und laufbegeisterte Sporttrainer, die selbst Asylhintergrund haben. Diese Trainings sind für alle offen und wir haben viele Einheimische, die ebenfalls zum Training kommen. Das Ziel ist es, die Durchmischung in Genf und den sozialen Zusammenhalt im Allgemeinen zu fördern.
Unsere Hauptaktivität sind die Samstagstrainings, die Laufen (in verschiedenen Leistungsgruppen), Walking und Yoga umfassen. Einer unserer Coaches betreut auch eine Kindergruppe, mit denen er Sportspiele im Freien macht, was den Eltern die Möglichkeit gibt, sich voll und ganz auf ihr Training zu konzentrieren.
Seit letztem Jahr haben wir eine Walking-Gruppe für diejenigen hinzugefügt, die weniger sportlich sind oder nicht laufen können oder wollen, sowie zwei Yoga-Kurse, einen für alle und einen nur für Frauen. Nach dem Training teilen wir uns einen kleinen Snack, und im Sommer, wenn das Wetter schön ist, bringen die Leute etwas zu essen mit, um grosse Picknicks zu veranstalten. Dies sind besondere Momente des Austauschs und der Begegnung. Das Ziel besteht auch darin, Menschen mit Asyl- und Migrationshintergrund die Möglichkeit zu geben, Beziehungen zu Einheimischen aufzubauen, was ein wichtiger Schritt in ihrem Integrationsprozess ist. Es entstehen Freundschaften und es gibt viel Solidarität und gegenseitige Hilfe unter den Mitgliedern. Manchmal gibt es eine Verteilung von Kleidung und Sportausrüstung, ein anderes Mal bietet man Hilfe bei Bewerbungsunterlagen, für schulische Unterstützung oder auch administrative Aufgaben.
Ein weiteres Projekt, das wir ins Leben gerufen haben, heisst "Run for Work". Hierbei handelt es sich um ehrenamtliche Arbeit im Sport. Unter unseren Mitgliedern mit Migrations- und Asylhintergrund wirbt FLAG21 Freiwillige an, die bei Sportveranstaltungen wie Volksläufen betreuen oder helfen. Tatsächlich arbeiten die Organisatoren von Volksläufen viel mit Freiwilligen zusammen, um beispielsweise die Infrastruktur aufzubauen, die Strecke zu kennzeichnen oder Verpflegung zu organisieren. Wir sind das Bindeglied zwischen den Organisatoren und unseren Mitgliedern, die auf der Suche nach einer ersten Berufserfahrung in der Schweiz sind. So können sie Französisch üben und erste Arbeitserfahrungen sammeln, die ihnen später ein Zertifikat für Freiwilligenarbeit einbringen. Wir planen auch kleine Workshops, die darauf abzielen, diese Erfahrungen in echte berufliche Kompetenzen umzuwandeln und sie so in Bewerbungsunterlagen zu formalisieren.
Ausserdem nehmen wir mit unseren Mitgliedern an Volksläufen teil, indem wir ihnen die Anmeldung erleichtern, wie beispielsweise beim "Antigel Run". Das hilft, den Teamgeist zu stärken, und wir können uns sichtbar machen, indem wir bei diesen Läufen einen Informationsstand betreiben, um die Bevölkerung zu sensibilisieren.
Sport ist ein hervorragender Vektor für Begegnungen und soziale Integration. Er hilft, Unterschiede zu überwinden, und ermöglicht es so Menschen mit ganz unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichem Hintergrund, einen Moment zu teilen und über Sprach- und Kulturbarrieren hinweg gemeinsam eine Aktivität auszuüben. Flüchtlinge und Migranten sind in ihrem Alltag mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert, wenn sie in eine ihnen unbekannte Aufnahmegesellschaft kommen. Sport kann ihnen die Integration in ihre neue Umgebung erleichtern. Ausserdem ist Sport gut für die Gesundheit: Wenn man sich bewegt, fühlt man sich in seinem Körper und in seinem Kopf wohl. Nicht zu vergessen, dass Sport Stress abbaut, und wenn man sich in einer verletzlichen Situation befindet, ist dies ein umso wichtigerer Aspekt.
Ich persönlich engagiere mich in dieser Organisation, weil ich mich für privilegiert halte, in einem reichen Land geboren zu sein, in dem es keinen Krieg gibt und in dem wir alle Ressourcen haben, die wir zum Leben brauchen, wie beispielsweise sauberes Trinkwasser. Hier habe ich viele Möglichkeiten und kann zum Beispiel die Ausbildung machen, die ich will, die Arbeit machen, die ich will, zusammenleben, mit wem ich will, in einer Beziehung sein oder nicht, heiraten oder nicht, Kinder haben oder nicht. Mit meinem Pass kann ich reisen, wohin ich will. Das ist ein grosses Privileg und ich bin mir bewusst, dass es viele Menschen gibt, die dieses Glück nicht haben. Ich finde es daher normal, dass diejenigen, die mehr haben, denen, die weniger haben, etwas geben, indem sie ihnen vor allem im Alltag helfen. Diese Ungleichheiten haben mich schon immer berührt und ich kann mir kein Leben vorstellen, in dem ich mich nicht zumindest ein bisschen engagiere.
Ich hatte im Frühjahr 2021 als Freiwillige für die Yoga-Kurse angefangen und seit Januar 2022 vertrete ich die Programmkoordinatorin, die sich im Mutterschaftsurlaub befindet.
Ende Januar war ich krank und teilte der Gruppe mit, dass ich den Wochenendkurs nicht halten könne. Spontan bereitete mir eine junge Frau, die erst seit wenigen Monaten in der Schweiz ist und noch nicht so gut Französisch spricht, ein Essen zu und brachte es mir nach ihrem Französischkurs am Abend zu mir nach Hause. Diese Freundlichkeit hat mich sehr berührt.
Generell ist die Atmosphäre genial. Die Menschen sind so voller Wohlwollen. Ich bin samstags am Morgen oft sehr früh vor Ort, um die erste Yoga-Stunde um 9:30 Uhr zu geben. Vor allem im Winter ist es nicht immer einfach, samstags früh aufzustehen, um in die Kälte hinauszugehen und einen Kurs zu leiten. Aber wenn du erst einmal da bist, sind die Leute trotz der -2° C gut motiviert und mit einem Lächeln im Gesicht dabei, auf dich zu warten. Das bringt mich sofort in gute Laune und man kann nur motiviert sein. Es ist eine positive Energie, die dich den ganzen Tag über begleitet.
Für die nahe Zukunft haben wir vor allem etwas sanftere Aktivitäten geplant. Wir haben bereits Walking und Yoga in unser Programm aufgenommen und würden uns gerne mehr auf die Gesundheit und weniger auf sportliche Leistung konzentrieren, um auch Menschen aufnehmen zu können, die nicht unbedingt sportlich sind, und sie zu motivieren, sich draussen zu bewegen. Wir würden gerne kleine Ausflüge in Genf organisieren, um die verschiedenen Viertel kennenzulernen, und Wanderungen in der Natur in der Umgebung der Stadt. Ein weiteres Projekt, das wir gerne umsetzen würden, ist ein zweitägiges Lager in den Bergen mit unseren einheimischen Mitgliedern und Leuten mit Asyl- und Migrationshintergrund, sozusagen ein Integrationscamp, und während dieser Aufenthalte Wanderungen und Aktivitäten für Kinder anzubieten.
Ausserdem möchten wir einen Ausbildungskurs zur Yoga-Lehrerin für Migrantinnen anbieten. Wir haben Leute mit Asyl und Migrationshintergrund für alle unsere Aktivitäten ausser Yoga, und es wäre schön, wenn wir eine junge Frau dazu motivieren könnten, damit anzufangen. Zudem möchten wir in diesem Jahr mehr Workshops für ehrenamtliche Arbeit im Sport anbieten, um die berufliche Eingliederung unserer Mitglieder zu fördern. An Ideen mangelt es uns nicht, und wir werden sehen, was wir mit unserem kleinen Team erreichen können.
Die Leute sagen uns oft, dass die Coaches immer sehr motiviert sind und dass FLAG21 wie eine Familie ist. Die Trainings geben den Coaches Verantwortung und wir begleiten sie bei einer Professionalisierung (z. B. Ausbildungen in den Bereichen Sport und Gesundheit) und für sie ist es eine gute Lernerfahrung. Die Solidaritätsbande, die durch die aktive Teilnahme an unseren Trainings entwickelt wurden, haben für einige zu tollen Möglichkeiten geführt, darunter zum Beispiel eine Lehre, die Teilnahme an “Horizon académique” und anderes.
Wir sehen auch den Fortschritt unserer Mitglieder mit dem Erlernen von Französisch. Es gibt zum Beispiel ein Mitglied, das im letzten Sommer zu uns gestossen ist und überhaupt kein Französisch sprach. Wir konnten uns nur auf Englisch oder mit den Händen verständigen. Und jetzt kommt er viel besser mit Französisch zurecht. Die Leute sind wirklich motiviert und kommen sowohl im Sommer als auch im Winter. Manchmal bin ich wirklich erstaunt, dass die Leute selbst an sehr kalten Tagen immer noch da sind und sich freuen, sich untereinander auszutauschen. Viele Mitglieder konnten Freunde finden und durch FLAG21 mit anderen Vereinen und anderen Möglichkeiten der Freiwilligenarbeit in Verbindung treten. Zu unseren Picknicks laden wir auch andere Vereine, die in den Bereichen Integration, Migration, Sport oder Gesundheit tätig sind ein, um ihre Aktivitäten vorzustellen, wie beispielsweise der Verein "Genèveroule". Dies ermöglicht es unseren Mitgliedern, auch mit anderen Strukturen in Kontakt zu treten.
In Genf gibt es viele Möglichkeiten, sich in diesem Bereich zu engagieren und Freiwilligenarbeit zu leisten. Die Website Serve the City wirbt Freiwillige für Vereine an, die diese für ihre Aktivitäten suchen. Dort habe ich zum Beispiel Freiwilligeneinsätze für die Verteilung von Lebensmitteln an Obdachlose oder das Sortieren von Kleiderspenden gefunden. Das sind Dinge, die jeder ohne besondere Qualifikationen tun kann. Sie sind sehr flexibel in Bezug auf die Verfügbarkeit und es handelt sich in der Regel um Tätigkeiten, die punktuell durchgeführt werden. Dies kann ein guter Ausgangspunkt sein. Aber dann denke ich, dass für eine Organisation wie die unsere ein langfristiges und regelmässiges Engagement erfolgreicher ist und dem Freiwilligen auch mehr zurückgibt. Schliesslich hängt es auch davon ab, was die Person geben möchte, ob sie mit Menschen in Kontakt kommen oder eher administrative Aufgaben erledigen möchte.
Bei FLAG21, würden wir uns z. B. über Hilfe bei der Verwaltung oder beim Betreiben eines Standes während eines Volkslaufs sehr freuen. Wir sind immer offen für jemanden, der einen Workshop in einer bestimmten Disziplin durchführen möchte, oder wenn jemand die Umgebung von Genf gut kennt und leicht zugängliche Wanderungen anbieten möchte.