Mi., 20.11.2024 - 09:43

Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung fliehen müssen, stehen zunehmend an vorderster Front der globalen Klimakrise und sind einer gefährlichen Kombination von Bedrohungen ausgesetzt – ohne die nötige Finanzierung und Unterstützung, um sich anzupassen.  

Diese dramatische Situation wird in dem Bericht „No Escape: On the frontline of Climate Change, Conflict and Forced Displacement“ beschrieben, den UNHCR auf der COP29 in Baku vorgestellt hat. Der Bericht, der in Zusammenarbeit mit 13 Fachorganisationen, Forschungseinrichtungen und Flüchtlingsinitiativen erstellt wurde, zeigt anhand aktueller Daten, wie Klimaschocks Konflikte verschärfen und bereits gefährdete Menschen noch stärker treffen.  

Der Klimawandel hat verheerende Auswirkungen auf Menschen, die bereits zur Flucht gezwungen wurden. Andrew Harper, Sonderberater für Klimaschutz beim Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, erinnert uns jedoch in einem Interview daran, dass Lösungen in greifbarer Nähe sind – wenn wir jetzt handeln, gemeinsam und mit den notwendigen Ressourcen.  

Warum sind Flüchtlinge und Vertriebene so anfällig für die Folgen des Klimawandels?  

Flüchtlinge und Vertriebene werden oft in Gebieten aufgenommen, in denen sonst niemand leben möchte. Grosse Flüchtlingslager befinden sich häufig in Wüsten oder in Regionen, die anfällig für Überschwemmungen sind. Der Klimawandel verschlimmert die ohnehin schon schwierigen Bedingungen. 

« Der Klimawandel verstärkt die Verwundbarkeit von Menschen, die internationalen Schutz benötigen. »

In Flüchtlingssiedlungen zeigt sich dies besonders deutlich: Der Zugang zu grundlegenden Ressourcen wie Wasser und Brennholz wird schwieriger. Viele Menschen leben in Plastikzelten bei Temperaturen von 45 Grad, ohne ausreichendes Wasser für ihre Kinder. Frauen, Kinder und ältere Menschen sind von diesen Bedingungen besonders betroffen. 

Und dann ist da noch die Tatsache, dass der Klimawandel dauerhafte Lösungen erschwert. In einigen Fällen können Menschen, die aufgrund von Konflikten oder Verfolgung zur Flucht gezwungen wurden, nicht an ihre Herkunftsorte zurückkehren, weil diese Gebiete inzwischen durch den Klimawandel unbewohnbar geworden sind.  

 

Frauen und der Klimawandel: Opfer und Treiber des Wandels 

Bei einem kürzlichen Besuch an der Grenze zwischen Somalia und Kenia traf ich Frauen mit ihren Kindern, die mehrfach vertrieben worden waren – zunächst durch Konflikte und dann, nach einer längeren Dürreperiode, durch Überschwemmungen. Nachdem sie von diesen Überschwemmungen in Somalia betroffen waren, zogen sie sechs Tage lang durch gefährliche Gebiete, um nach Kenia zu gelangen, in der Hoffnung, dass ihre Kinder dort zur Schule gehen und Zugang zu medizinischer Versorgung erhalten könnten.  

Frauen und Mädchen tragen eine besondere Last: Sie müssen oft weite Strecken zurücklegen, um Wasser oder Brennholz zu beschaffen, was sie der Gefahr sexueller Gewalt aussetzt. Auch der Zugang zu Bildung bleibt ihnen häufig verwehrt, was das Risiko von Früh- oder Zwangsverheiratungen erhöht. 

Wo auch immer ich hingereist bin – von Kenia bis Brasilien –habe ich Frauen als treibende Kraft gesehen. Ihre Stimmen und ihr Wissen müssen stärker berücksichtigt werden. Diejenigen, die an vorderster Front betroffen sind, können ihre Bedürfnisse am besten verstehen und wir müssen ihnen zuhören.   

© UNHCR/Andrew McConnell

Wie sieht es mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Aufnahmegemeinschaften aus?  

Auch die Gemeinschaften, die Flüchtlinge aufnehmen, leiden unter den Folgen des Klimawandels. Extreme Wetterereignisse, Dürren und Überschwemmungen zerstören ihre Lebensgrundlagen. 

« Wenn wir diese Gemeinschaften und die Länder, die seit Jahrzehnten Flüchtlinge aufnehmen, nicht unterstützen, können wir nicht erwarten, dass sie weiterhin Schutz bieten. »

Da die Temperaturen steigen und extreme Wetterereignisse immer häufiger auftreten, müssen wir besser vorbereitet sein und die Daten und wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen, die uns bereits vorliegen. Entscheidend ist die Zusammenarbeit mit Gemeinden und die Bereitstellung von Ressourcen und Mitteln für eine klimaresiliente Zukunft. 

Die drei Säulen des UNHCR für den Klimaschutz  

Das UNHCR betreibt weltweit 500 Büros, auch in Wüsten, Dschungeln und Überschwemmungsgebieten, und arbeitet direkt mit den betroffenen Gemeinden zusammen. Unser Auftrag ist es, Schutz zu bieten, in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden.  

Unsere Klimaschutzstrategie basiert auf drei Grundpfeilern:  

  1. Recht und Politik: Schutz muss in der Gesetzgebung verankert werden. Wir setzen uns dafür ein, Gesetze zu stärken, die sich mit den Herausforderungen des Klimawandels befassen.  
  2. Operative Lösungen: Neben rechtlichem Schutz benötigen Flüchtlinge praktische Unterstützung – Zugang zu Wasser, Nahrung, erneuerbarer Energie, Bildung und Gesundheitsversorgung. Beispielsweise arbeiten wir mit Gemeinden zusammen, um dürreresistente Pflanzen einzuführen. 
  3. Reduzierung der Umweltbelastung: Wir arbeiten daran, unseren CO2-Fussabdruck zu reduzieren, indem wir den Einsatz von Generatoren und Fahrzeugen minimieren. Wir erforschen recycelte Materialien für Hilfsgüter und überdenken unseren Umgang mit Verpackungen, um Abfall zu reduzieren.  

Die Zahl der Vertriebenen steigt stetig seit zwölf Jahren und wir müssen mit weniger immer mehr erreichen. Dies erfordert Partnerschaften mit anderen Organisationen, Klimafonds und dem Privatsektor, um Lösungen für die vom Klimawandel Betroffenen zu finden.

© UNHCR/Aymen Alfadil
© UNHCR/Aymen Alfadil

Vor welchen Herausforderungen stehen das UNHCR und die Vertriebenen in Zukunft?  

Um die kommenden Herausforderungen zu erkennen, ist es entscheidend, auf den Daten und Erkenntnissen des UNHCR-Berichts No Escape: On the frontline of Climate Change, Conflict and Forced Displacement aufzubauen.  

UNHCR arbeitet mit akademischen Einrichtungen zusammen, um die Auswirkungen extremer Hitze und Feuchtigkeit zu untersuchen und besser zu verstehen, wie sich Klimarisiken in den kommenden Jahren wahrscheinlich mit Vertreibungen überschneiden werden.  

Wir wissen, dass die Herausforderungen zunehmen werden, da Konflikte und die Auswirkungen des Klimawandels weiterhin miteinander interagieren. Wir wissen, dass Indikatoren wie mangelnde Regierungsführung, Bildung und Gesundheitsversorgung oft als Vorboten für künftige Konflikte dienen. Es ist nicht schwer vorherzusagen, wo die Herausforderungen entstehen werden. Wir werden wahrscheinlich erleben, dass sich die öffentlichen Dienste von den Randgebieten bestimmter Staaten in die Hauptstädte zurückziehen, was Raum für nicht-staatliche Akteure schafft. Dieser Trend ist in der Sahelzone und anderen Regionen bereits deutlich erkennbar.  

« Stellen Sie sich vor, Sie leben in einer Wüste mit nur zehn Litern Wasser pro Person und Tag, oft ohne Schatten, in einem Plastikzelt eingepfercht und ohne Aussicht auf eine bessere Zukunft. »

Ohne sofortiges Handeln und Finanzierung steigt das Risiko zunehmender Konflikte. Die 120 Millionen Vertriebenen brauchen dringend Lösungen – Zugang zu Wasser, Unterkünften, die Möglichkeit, Feldfrüchte anzubauen, und nachhaltige Lebensgrundlagen –, um in einer zunehmend feindlichen Umgebung zu überleben.  

Es ist auch wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Vertreibung länger andauert, wenn die Menschen keine Möglichkeit haben, zurückzukehren. In einigen Fällen werden Menschen, die aufgrund von Konflikten zur Flucht gezwungen wurden, nicht in der Lage sein, in ihre Heimat zurückzukehren, nachdem der Konflikt abgeklungen ist, weil der Klimawandel diese Gebiete in der Zwischenzeit unbewohnbar gemacht haben wird.

 

Was kann die Schweiz tun, um die Situation von Vertriebenen im Zusammenhang mit dem Klimawandel anzugehen?  

Die Schweiz kann eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung von Geflüchteten und intern Vertriebenen (IDPs) spielen, die von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Zunächst ist es wichtig, die tiefgreifenden Auswirkungen des Klimawandels auf die Würde und die Verletzlichkeit dieser Menschen anzuerkennen. Die Schweiz verfügt über die Kapazität, ihre humanitäre Tradition in konkrete Massnahmen umzuwandeln. 

Um echte Veränderungen zu bewirken, sollte die Schweiz ihre zahlreichen humanitären Organisationen nutzen und sowohl technische Unterstützung als auch finanzielle Mittel bereitstellen. Es gibt zwar klare Lösungen für diese Herausforderungen, aber finanzielle Unterstützung ist entscheidend, um sie effektiv umzusetzen.  

Mit der Zunahme extremer Wetterereignisse steigt auch der Bedarf an sofortiger Hilfe. In Syrien etwa werden viele intern Vertriebene, die in provisorischen Unterkünften leben, diesen Winter unter harschen Bedingungen leiden. Auch in Afghanistan sind Vertriebene gefährdet, da die Temperaturen weiter sinken. Es ist wichtig, dass die Schweizer Bevölkerung die Realität dieser Vertreibung versteht und erkennt, dass sie helfen kann. 

Durch Sensibilisierung, Eintreten für die Finanzierung und Unterstützung lokaler und internationaler Initiativen kann die Schweizer Bevölkerung einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen der vom Klimawandel betroffenen Menschen leisten. Gemeinsam können wir für gefährdete Gemeinschaften einen spürbaren Unterschied bewirken.  

© UNHCR/Ricardo Ara

Andrew Harpers Botschaft an Sie:  

Ich möchte der Schweiz von ganzem Herzen für ihre anhaltende Unterstützung der vom Klimawandel betroffenen Vertriebenen danken. Der Bedarf ist jedoch nach wie vor immens und die derzeitige Hilfe reicht nicht aus, um diese Herausforderungen zu bewältigen.  

Wir benötigen dringend nachhaltige Finanzierung und kontinuierliche Unterstützung, um die kritische Situation der Flüchtlinge zu bewältigen. Dies ist keine kurzfristige Aufgabe, sondern erfordert ein langfristiges Engagement. Ich lade die Menschen in der Schweiz ein, Teil dieser wichtigen Partnerschaft zu werden. Ihre Beiträge können das Leben der Leidenden entscheidend verbessern. Ihre Beiträge können einen bedeutenden Unterschied im Leben der Leidenden bewirken.

« Jetzt ist die Zeit zu handeln. Mit Ihrer Spende können Sie dringend benötigte Ressourcen bereitstellen und Menschen in Not unterstützen. »

Gemeinsam können wir eine bessere Zukunft für vertriebene Gemeinschaften schaffen und ihre Würde und Widerstandsfähigkeit angesichts des Klimawandels sicherstellen. Vielen Dank für Ihre Unterstützung.