Es gibt Momente in einer Laufbahn, von denen man hofft, dass sie nie geschehen. Doch für Maria Stavropoulou, UNHCR-Vertreterin in Jordanien, ist dies heute Realität:
«Wir müssen Flüchtlingen jeden Tag sagen, dass es nur sehr wenig gibt – und manchmal gar nichts –, was wir für sie tun können.»
Seit über dreissig Jahren setzt sich die Juristin aus Griechenland für den Schutz von Vertriebenen ein. Von Mauretanien bis Syrien hat sie die Entwicklung der humanitären Arbeit über die Jahre miterlebt. Und sie stellt fest: Die Lage ist heute kritisch. In Amman beobachtet sie eine wachsende Kluft zwischen den Bedürfnissen vor Ort und den verfügbaren Ressourcen – eine Kluft, die Flüchtlinge zu bitteren Entscheidungen zwingt.
Wenn Not zum Alltag wird
Sechs von zehn Flüchtlingen in Jordanien können ihre grundlegenden täglichen Bedürfnisse nicht mehr decken. Hinter dieser Zahl verbirgt sich eine harte Realität: Kinder müssen die Schule verlassen, um zu arbeiten; Mädchen werden zwangsverheiratet; Familien verschulden sich, weil sie keine andere Wahl haben.
Neun von zehn Haushalten mit Flüchtlingen haben inzwischen Schulden – bei ihren Vermietern, in Spitälern, im Quartierladen oder bei Freunden und Verwandten. Diese Familien opfern ihre Zukunft, um einen weiteren Tag zu überstehen.
Jordanien beherbergt seit über zehn Jahren 475’000 Flüchtlinge, die meisten aus Syrien. Dies ist längst keine Notfallsituation mehr: Es ist eine dauerhafte Realität geworden. Und in den Flüchtlingscamps Zaatari und Azraq haben die Wohncontainer, eigentlich als temporäre Unterkünfte gedacht, ihre Lebensdauer seit Jahren überschritten. Sie sind undicht, verlieren die teure Wärme, die im Winter lebensnotwendig ist, und stehen beim ersten Regen unter Wasser. Doch es gibt kein Geld, um sie zu ersetzen.
«Flüchtlinge werden immer ärmer, und die meisten sehen keinen Ausweg aus dieser Armut.»
Die menschlichen Kosten der Finanzkürzungen in der humanitären Hilfe
Hinter gestrichenen Programmen stehen Menschen – Kinder, Familien. Maria erinnert sich an eine sudanesische Frau, die sie in einem Gemeinschaftszentrum in Jordanien traf. Ein Ort, an dem Flüchtlinge zusammenkommen konnten und ein Stück sozialen Zusammenhalts zurückgewannen. Trotz der grossen Belastung, ihre Familie zu versorgen, hatte diese Frau ein strahlendes Lächeln – eine Energie, die Maria nicht erwartet hätte und die in so einem Kontext der Logik widerspricht.
Die Unterstützung für diese Zentren musste dieses Jahr wegen fehlender Mittel eingestellt werden. Doch die Flüchtlinge treffen sich weiterhin an anderen Orten und halten diese lebenswichtigen Verbindungen aufrecht. «Das ist es, was mir Hoffnung gibt», sagt Maria.
Dennoch sind die Auswirkungen der Budgeteinschränkungen sehr real, auch in Jordanien: reduzierte Gesundheitsprogramme, eingeschränkte Schutzangebote für Gewaltopfer, rationierte Rechtsberatung und längere Reisezeiten, um essenzielle Dokumente abzuholen, weil einige UNHCR-Registrierungszentren in Jordanien schliessen mussten. Und heute, da Tausende Syrerinnen und Syrer nach der politischen Veränderung in Syrien heimkehren möchten, kann UNHCR ihnen nur minimale Unterstützung bieten.
Eine Rückkehr nach Syrien voller Hoffnung und Unsicherheit
Seit Januar 2025 sagen 80 Prozent der syrischen Flüchtlinge in Jordanien, dass sie eines Tages nach Hause zurückkehren wollen. Für einige ist dies bereits Realität. Rund 10’000 Personen konnte UNHCR bisher bei der Rückkehr unterstützen: organisierte Busse, 50 kg Gepäck pro Person. Neuerdings erhalten Bewohner der Flüchtlingscamps 100 USD pro Person, damit sie ihre Rückreise selbst organisieren können: günstigere Transportmittel finden, Schulden begleichen, mehr Gepäck mitnehmen, neue Kleidung kaufen, um ihre Rückkehr zu feiern und um vorbereitet zu sein, da sie nicht wissen, was sie in Syrien erwartet.
«Wissen Sie, wie man sich für ein wichtiges Ereignis schön anzieht? Genau darum geht es», erklärt Maria.
Doch hier zeigt sich der bittere Widerspruch: Einige sind inzwischen zu arm geworden, um überhaupt zurückzukehren, selbst mit dieser Unterstützung. Sie bleiben in einer Art Zwischenzustand gefangen, zu mittellos, um aufzubrechen, ohne Perspektive, um eine Zukunft aufzubauen.
«Wir möchten Flüchtlinge so unterstützen, wie wir es für richtig halten – aber die Mittel reichen einfach nicht.»
Der Wendepunkt des humanitären Systems
Mehr als dreissig Jahre humanitäre Arbeit haben Maria eines gelehrt: Die internationalen Konventionen über die Rechte von Flüchtlingen können in der Realität nicht mehr als selbstverständlich betrachtet werden.
«Wir befinden uns an einem Wendepunkt», sagt sie, einem Moment, in dem diese grundlegenden Prinzipien infrage gestellt werden.
Und dennoch ist sie überzeugt: Wenn es diese Konventionen nicht gäbe, müssten wir sie heute neu erfinden, denn sie sind unverzichtbar: Sie bilden das Fundament des Völkerrechts und schützen die Menschenrechte von uns allen.
Die Zahl der Vertriebenen hat sich in den letzten drei Jahrzehnten vervielfacht – doch die humanitäre Finanzierung ist stetig gesunken. Eine unmögliche Gleichung, die Organisationen wie UNHCR in einen Zustand permanenter Krise drängt.
Warum soll die Schweiz Flüchtlinge unterstützen?
Für Maria Stavropoulou ist die Botschaft an Spender in der Schweiz klar: Flüchtlinge, die in der Nähe ihres Herkunftslandes bleiben, haben eine viel grössere Chance, zurückzukehren, sobald dies möglich ist. Und es verhindert, dass sie aus Verzweiflung gefährliche Routen in andere Regionen, insbesondere nach Europa, wählen.
«Wir müssen alles unterstützen, was dazu beiträgt, diesen Flüchtlingsstatus zu beenden, in dem sie so lange leben mussten», betont sie.
Und dann ist da diese bescheidene Wahrheit, die Maria immer wieder hört: Trotz Kritik, trotz unzureichender Mittel sagen Flüchtlinge beim Abschied: «Als meine Familie und ich wirklich Hilfe brauchten, war UNHCR für uns da.»
Eine Erinnerung aus der Wüste
Eine Erinnerung hat sich Maria besonders eingeprägt. In Mauretanien, mitten in der Pandemie, in einem Camp in der Wüste, in dem fast 90’000 Menschen lebten, organisierten sie zusammen mit der Gemeinschaft einen Tanzwettbewerb – trotz Masken und Vorsichtsmassnahmen.
Das ganze Camp machte mit: Lieder, Tänze, Fotos, Videos. «Die Energie und die Hoffnung, die dadurch entstanden, waren unvorstellbar», sagt sie berührt. Ein starker Kontrast zum üblichen Bild von Flüchtlingscamps.
Diese Szene verkörpert, was Maria bis heute jeden Morgen motiviert: konkret zu sehen, wie humanitäre Arbeit das Leben von Menschen verändert. «Alles zählt. Alles, was Sie tun. Wie Sie eine geflüchtete Person behandeln, der Sie auf der Strasse begegnen. Ihr freiwilliges Engagement. Wenn Sie spenden können, ist das wunderbar. Jede kleine Geste zählt.»
FAQ
Wie viele Flüchtlinge unterstützt UNHCR in Jordanien?
Jordanien beherbergt rund 475’000 Flüchtlinge, hauptsächlich aus Syrien. Rund 20 % leben in den Flüchtlingscamps Zaatari und Azraq, 80% in städtischen und ländlichen Gemeinschaften.
Wie viele syrische Flüchtlinge möchten zurückkehren?
Nach dem politischen Umsturz in Syrien im Dezember 2024 äussern 80% der syrischen Flüchtlinge in Jordanien den Wunsch, eines Tages zurückzukehren. 165’000 sind bereits aus Jordanien zurückgereist.
Welche Leistungen bietet UNHCR Flüchtlingen?
UNHCR koordiniert Dienstleistungen in den Camps, bietet rechtlichen und psychosozialen Schutz, registriert Flüchtlinge, stellt essenzielle Dokumente aus und unterstützt jene, die freiwillig zurückkehren möchten.
Warum sprechen wir von Budgetkürzungen?
Die Zahl der Flüchtlinge weltweit ist in den letzten 30 Jahren stark gestiegen – die staatliche Finanzierung der humanitären Hilfe hingegen deutlich gesunken. Dadurch wächst die Kluft zwischen Bedürfnissen und verfügbaren Ressourcen.
Wie wirken sich diese Einschränkungen auf Flüchtlinge aus?
Sechs von zehn Flüchtlingen können in Jordanien ihre grundlegenden Bedürfnisse nicht mehr decken. Die Folgen sind Schulabbrüche, Kinderarbeit, Zwangsverheiratung und hohe Verschuldung.